Handwerklich abgehoben
Die Alb-Bäckerei Hoffmann betreibt seit 15 Jahren ihr eigenes Dorfbackhaus, nach alter Tradition
Um 8:01 Uhr streckt der erste Knauzen seine Kruste aus dem Ofenschlund. Keine Minute früher und keine später. So die Ansage von Bäcker Kurt Pointner. In der Zwischenzeit fährt der gebürtige Österreicher in die Backstube nach Münsingen, besorgt zwei neue Teigwannen und nicht vergessen: „Leere Tüten von der Mühle Luz mitbringen“, ruft ihm die Rose Gassner hinterher.
Die Landfrau ist am heutigen Freitag im roten Backhaus an der Durchgangsstraße in Hundersingen fürs An- und Nachfeuern zuständig. Neben dem mit Schamottsteinen ausgelegten alten Backofen stapelt sich das gute älbler Buchenholz in meterlangen Scheiten. Auch die Holzqualität ist ausschlaggebend für den Geschmack des Brotes. Die Scheite werden pro Backgang zunächst auf der hölzernen Kartoffelwaage abgewogen, dann zum Nachfeuern in den Mehlsack gesteckt. Die Glutstücke vom abgebrannten Holz werden durch die Luke in den Schacht „abgeräumt“, von wo sie mit der Schaufel später zum Nachheizen für den weiteren Backgang wieder in den Backofen geschaufelt werden.
Mit einem feuchten Lappen – dem Hudlwisch – wird die Hitze unter der Ofenkuppel gleichmäßig verteilt, bevor der Brotteig im Akkord aus der Mulde gebrochen wird. Jeder Laib wird traditionell mit der römischen Schnellwaage gewogen, bevor er in die genetzte Schapf fällt und Reihe für Reihe von hinten nach vorne in den Ofenschlund gekippt wird. Etwa 50 Brotlaibe passen neben- und voreinander. Je nachdem, ob groß oder klein.
Drei Backgänge sind vorgesehen. Gebacken wird zweimal die Woche, am Dienstag und Freitag. Die allermeisten der Brote sind im Voraus „verstellt“, wie man auf der Alb sagt. Die Gärtnerei der sozialen Einrichtung Bruderhaus Diakonie ist dankbarer Abnehmer. Die Feuerwehr holt grade zehn Laibe ab. Am Wochenende ist Altmetall-Sammlung mit Grillwürsten für die Helfer. Auch wenn im angrenzenden Tal der Kohlenmeiler brennt, gibt`s Grillwürste mit Hundersinger Backhausbrot. Zur Tourismus-Saison wird hier auch schwäbische Pizza für den benachbarten Bootsverleih gebacken.
Maria Bleher beim Nachfeuern. Drei Backgänge an einem Tag hat das eingespielte Backteam vor sich. Fotos: Angela Steidle
Privatleute und Ausflügler aus dem Neckartal verbinden den Einkauf beim Hundersinger Landmetzger Seiffert mit dem Backtag. Das hat eine lange Tradition. Als allererstes liegen „Wäs“ und „Focaccia“ zum Auskühlen auf dem Metall-Regal. Die urschwäbische „Wäs“, ein länglicher Fladen aus Resten vom Brotteig, ist bestreut mit Kümmel und Salz. Ihr italienischer Vetter kommt mit Olivenöl, Oregano und Salz daher.
Sonst ist wie früher alles pur: Qualitativ hochwertiges Weizen- oder Dinkelmehl aus der Luz-Mühle im Lautertal oder der Mühle Rettenmeier in Horb am Neckar, Wasser, Salz und selbst angesetzter Sauerteig. Mehr braucht ein gutes Backhausbrot nicht. Außer: Geduld und Fingerspitzengefühl.
Die Klopfprobe an der Laib-Unterseite ist eindeutig: fertig oder nicht. Kurz vor fertig bekommt das Brot noch einen Pinselstrich Wasser übergezogen – damit es fürs Auge schön glänzt. Reihe um Reihe. So wie die Laibe nach und nach herausgezogen werden. Keine Hand greift daneben. Das lässt der Bäcker nicht zu. Das Dreigestirn aus dem Münsinger Vorort Trailfingen ist an der Luke eingespielt eingespielt. Kurt Pointner hat jahrelange Erfahrung als Bäcker im Trailfinger Backhaus für Vereine und Feste. Natürlich als gelernter Bäcker in der Backstube der alteingesessenen Münsinger Bäckerei Hoffmann. Maria Bleher vom gleichnamigen Hof im Wechsel mit Backfrau Rose Gassner kennen seit fast 50 Jahren nichts anderes. Alle drei sind so um die 70. Da zwickt schon mal das Kreuz oder man verzichtet einfach aufs Trinken, damit man den Backhaus-Nachbarn nicht nach der Toilette fragen muss.
Backtag war und ist Schwerstarbeit. Was nichts hilft. Denn nichts ist vergleichbar mit der duftenden Krume eines traditionellen Backhausbrotes. Wenn es türeinwärts am Dorfbackhaus nach Heimat riecht, hat sich die Mühe gelohnt. Die Kundenfrequenz ist hier mit Wertschätzung gleichzusetzen. Ein Schwätz nebenbei gehört zur Backhaustradition. Auf der Tischkante neben der Tür wird das Bargeld möglichst passend in die Handkasse gezählt, um außer Reichweite der Einschießer zu bleiben. Die Kunden verabschieden sich mit dem ofenwarmen Backwerk unter dem Arm und einem sichtlich zufriedenen Gefühl. Was nicht an Ort und Stelle abgeholt wird findet seinen Weg ins Ladengeschäft am Münsinger Marktplatz und in die einzige Bäckereifiliale – in der Tankstelle am Kreisel nach Marbach. Seit Jahren traditionelle Kaffeestube und Umschlagplatz für hungrige Handwerker, Vesperholer, Rentner oder Motorradclubs. Eben die, die immer da sind und viele im Vorbeigehen.
Die Einrichtung des Backshops an der Alb-Rampe vor gut 15 Jahren war ein Glücksgriff und für beide Betreiber – Tankstellenbesitzer und Bäckerei Hoffmann – eine Wunschehe. Hier gibt es 90 Prozent des Sortiments aus dem Hauptgeschäft: Bioland-zertifizierte Brote und Kleingebäck, die große Auswahl an selbst hergestelltem Dauergebäck, die legendären handgearbeiteten Alb-Seelen mit Wacholderschinken vom Dorfmetzger Rapp und die Käse-Seele mit Albbüffel-Mozzarella von der Hofkäserei Helmut Rauscher im Dorf Ödenwaldstetten. Wie die Albseele (traditionell ein Gebäck aus Oberschwaben) ihren Weg in den Siebzigern auf die Schwäbische Alb gefunden hat, das könnte wohl die Senior-Chefin erzählen, meint Bäckermeister Jürgen Hoffmann. Oder der Großvater Albrecht Hoffmann, mit seinem ganz speziellen, offenherzigen Humor. Von ihm stammt das Original-Rezept.
Der Grandseigneur der Hoffmann`schen Backstube hat noch weit über Achtzig die Backwaren selbst ausgefahren und am Gasofen seinen Charme versprüht. Und das mitten auf der zentral-rauen Alb. Obwohl 1930 bei der Gründung des Familienbetriebs eigentlich Schottland anvisiert war.
Nach seinen Rezepten wird auch heute noch die unendliche Vielfalt an Kuchen gebacken, teils mit Früchten aus dem eigenen Garten im Lautertal bestückt. Der legendäre Frankfurter Kranz und die traditionellen Torten, die sich zu Festtagen in der Theke der Tankstelle und sonst im Café im Ladengeschäft übereinander türmen als gäb`s kein Morgen. Um 5:30 Uhr klingelt zum ersten Mal die Türglocke im Hauptgeschäft. Bereits um Fünf ist der Backshop in der Tanke Magnet. Die Backstube ist ab 12 Uhr besetzt – Handarbeit braucht Zeit. Bei neun Mitarbeitern in der Produktion und im Laden ist die Zusammensetzung multikulti und bei bester Laune. Die Backmischungen fürs Brot werden selbstredend im eigenen Haus hergestellt.
Bäcker Andreas Kosin in der Backstube Hoffmann.
1995 ging mit Jürgen Hoffmann die dritte Generation am Gasofen an den Start. Im Jahr 2007 hat die Familienbäckerei der Stadt Münsingen mit ihren 14 Teilgemeinden eines von zwei Dorfbackhäusern in Hundersingen abgekauft. Der monströse Ofen aus den Vierzigern war noch gut in Schuss. Für den Wirtschaftskontrolldienst musste ein Waschbecken installiert und frisch gestrichen werden. Der nächste Holzofenbäcker ist talabwärts Günther Weber vom Lorettohof nahe Zwiefalten. Mit seinen Fernseh-Auftritten und Büchern ein echter Leuchtturm unter den Holzofen-Bäckern in der Region. Auch die Ofenbauer gehen im Landstrich mehr denn je ihrem Handwerk nach. Holzofenbrot nach alter Tradition hat Konjunktur.
Bäcker-Frau Beate Hoffmann war der Erhalt des alten Kulturguts wichtig. Ihre eigene Familie stammt aus dem Lautertal. Das zweite Backhaus im 360-Seelen-Ort Hundersingen wird von einer organisierten Dorfgemeinschaft weiterbetrieben. Keine Selbstverständlichkeit, denn die alten Steinbacköfen bringen das beste Ergebnis, wenn sie nicht erkalten. Bei zwei Backtagen die Woche mit drei Durchgängen im Hoffmann`schen Backhaus sind die Schamottsteine so durchgeheizt, dass sie vier Tage später noch eine gute Hitze haben. Ist der Ofen lange aus, ist das Anheizen eine Prozedur, die viel Erfahrung braucht und meist schon am Vortag beginnt. Viel vom Wissen um die albtypische Backtradition geht mit den alten „Backweibern“ verloren. Für die Brotbacken im Holzofen sicher noch nie ein „reines Hobby“ war.
Entscheidend für den Kauf des Hundersinger Backhauses war für die Hoffmanns seinerzeit die dörfliche Verbundenheit. Die Nachfrage nach dem aromatischen Holzofenbrot ist nach wie vor groß und wächst stetig. „Das Bemühen, sich als kleiner Handwerksbetrieb mit besonderen Produkten abzuheben“ spiegelt sich für Bäckermeister Jürgen Hoffmann im frischen Backhausbrot nach alter Tradition und in der „Seele der Alb“. Aber auch im ganz persönlichen Anspruch: „Was in den Laden kommt, muss nicht nur einwandfrei sein, sondern auch gut aussehen. Lieber verkaufe ich nichts als einen Kruscht“, unterstreicht Hoffmann. Was für einwandfreie Handarbeit, regionalen Bezug und Wertschätzung steht.
Kurz vor der Gesellenprüfung: Najmedin Arabzada aus Afghanistan, Bäcker Andreas Kosin und Kollege Badou Mbaye aus Gambia sowie Betriebsinhaber Bäckermeister Jürgen Hoffmann.
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