Schrauber – Tüftler – Häspele
Flotte Sprüche wie: „Der Schwabe lebt nicht vom Einnehmen, sondern vom nicht Ausgeben“ oder „Machen ist wie Wollen, nur geiler“ hat Philipp Tiefenbach von der gleichnamigen Dorfbäckerei im schwäbischen St.Johann-Würtingen immer auf Lager. Seine Alb-Bäckerei ist seit zwei Jahren Teil einer Energie-Effizienzstudie der Hochschule Reutlingen und des Fraunhofer Instituts in Stuttgart mit KMU-Partnern aus zehn unterschiedlichen Branchen. Ziel des Projekts: Energieeffizienz und CO2-Neutralität bis Ende 2022!
Bereits 2019 wurde die Dorfbäckerei Tiefenbach auf Landesebene von Umweltminister Franz Untersteller mit dem Gipfelstürmer-Preis des „Netzwerks regionaler Kompetenzstellen Energieeffizienz (KEFF)“ ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte 1. Preis würdigt die vorbildliche energetische Optimierung des Unternehmens.
Auf dem direkten Weg zur CO2-neutralen Produktion steht ein 2015 in Betrieb genommener Heuft-Thermoöl-Backofen mit Abgaswärmetauscher: 2018 wurden die Pumpen auf Drehzahlsteuerung umgebaut. Demnächst wird der Mercedes unter den Backöfen für Philipp Tiefenbachs Bäckerei als Prototyp auf Pellets umgerüstet. Der Ofen ist ins Zentralheizungssystem integriert. Der Bruder des Bäckermeisters ist Heizungsbauer mit jahrelanger Arbeits-Erfahrung beim Premium-Hersteller aus der Eifel.
„Wie für mich gedacht“- hatte die Tiefenbach`sche Glühbirne gezündet, als 2010 zur Übernahme der alten Bäckerei in Würtingen der Werbeflyer für eine schlüsselfertige Hochleistungs-Solaranlage ins Haus flatterte. Damals noch eine geförderte Anlage mit Eigenstrom-Tarif. Die ehemalige Bäckerei mit Landwirtschaft, Gastronomie und Festsaal im 1. Obergeschoss hatte traditionell mehr als genügend Dachfläche. Die langfristige Planung: Der Überschuss des Stromertrages, der nicht selbst verbraucht wird, finanziert binnen 15 Jahren die komplette Anlage, obwohl die meiste Energie in den Betrieb fließt.
Zwei mit der Betriebssanierung gebraucht angeschaffte Blockheizkraftwerke aus einem insolventen Hotel, mit Anbindung an einen Pufferspeicher (beide hatten sich schon nach sechs Monaten amortisiert) sollen demnächst gegen eine zusätzliche Photovoltaik-Anlage auf dem Wintergartendach des Cafés mit Speichertechnologie ausgetauscht werden, um noch mehr Heizöl zu sparen.
Mit der Sanierung wurden die gesamten Betriebsabläufe umstrukturiert: Der neu angeschaffte elektrisch beheizte Ladenbackofen von Wiesheu übernahm gleich zu Beginn tagsüber die Last des 30-Jahre-alten heizölbefeuerten WP Matador. Stromintensive Tätigkeiten wurden aus der Nachtschicht in den Tag verlegt. In die Kühlaggregate wurden Plattenwärmetauscher eingebaut, zur Brauchwasser-Erwärmung. Die Öl-Zentralheizung fürs Haus wurde 2012 durch einen Holzheizkessel ersetzt und sukzessive sämtliche Leuchten auf LED umgerüstet. Alles ohne Förderanträge.
Die Abwärme des Backofens sowie der nachgerüsteten gebraucht angeschafften Kühl- und Gefrierzellen erwärmen einen 8500-Liter-Pufferspeicher, für den Heimwerker Tiefenbach in der alten Scheune kurzerhand eine solide Zwischendecke eingezogen hat. 2013 wurde das Nachbargebäude – ein privates Seniorenwohnheim mit 18 Plätzen – an die Zentralheizung mit Pfufferspeicher mit angeschlossen und dadurch, unabhängig vom Gas, vollständig mit beheizt.
Tiefenbach: „Wir produzieren 2/3 vom Strom selbst und heizen unser Privathaus damit komplett umsonst. Von Ostern bis Oktober heizen wir ausschließlich über Pufferspeicher aus der Abwärme des Backofens, in den Wintermonaten zusätzlich mit der Abwärme der Blockheizkraftwerke.“
Auch die selbst eingebaute Fußbodenheizung im Garraum bekommt die Abwärme des Backofens. Der Clou: Die Dampfbefeuchter-Rinne im Garraum hat der Schrauber kurzerhand durch einen Ultraschall-Vernebler aus dem Zoohandel ersetzt. Die Japaner lieben es, wenn über ihrem Koi-Karpfen-Teich ein dezenter Nebel schwebt. Die Anlage ist denkbar unempfindlich, auch gegen Kalkwasser, und arbeitet seit sechs Jahren solide. Energieverbrauch: 300 Watt statt 15 KW! Wenn man sich ein wenig auskennt, meint Philipp Tiefenbach, eine einfache Internet-Recherche.
Zur eigenen Bäckerei kam der gebürtige Reutlinger sprichwörtlich wie die Jungfrau zum Kind: Georg Bosch, alteingesessener Bäcker auf der älbler Hofstelle anno 1896, war gerade beim Brezelbacken. Tiefenbach hatte bei ihm einen Anhänger organisiert und wollte den verhandelten Preis bezahlen. Man kam ins Gespräch. Der Jungbäcker träumte schon lange vom eigenen Geschäft. Heute hilft der Vorgänger bei Bedarf dem Jüngeren beim Brezelbacken aus.
Für den damals 29-jährigen Philipp Tiefenbach war die Selbständigkeit nur ein weiterer Schritt in der persönlichen Agenda: Ausbildung beim renommierten Bäcker Berger in Reutlingen. Ein Dreiviertel Jahr als Geselle auf Sylt: „… weil ich die kernigen, originalen, deftigen Sauerteige lernen wollte“. Die kleine Meisterschule mit nur einer Klasse in Hannover – gleich gekoppelt mit dem Betriebswirt im Handwerk. Fünf Jahre bei BeckaBeck in Römerstein-Böhringen in der Nachtschicht: „Er hat mich ein Stück weit begleitet. Daraus ist eine gute Freundschaft geworden“. Dort hat Tiefenbach auch seine Frau Yvonne Kohn kennengelernt. Davor 1,5 Jahre bei der Bäckerei Haug in Genkingen und 1,5 Jahre in der Großbäckerei Maier in Kohlberg. Rein als Erfahrungswert.
Die Tiefenbachs gingen trotz ungläubiger Kommentare 2015 an die Generalsanierung. Es musste kräftig investiert werden: Die Technik in der alten Backstube – Stand Achtzigerjahre. Der alte Verkaufsraum hatte sich aus einer ehemaligen Scheune entwickelt. Die steile Außentreppe auf das Niveau der Back- und Gaststube im 1. Obergeschoss war auf der Alb zwar typisch, aber alles andere als praktisch. Nach 1,5 Jahren gab der 30 Jahre alte WP Matador den Geist auf. Gegen den Schrottwert hievte die Freiwillige Feuerwehr das Monstrum aus der geöffneten Fassade.
Die Produktion wurde unter laufendem Betrieb neu aufgestellt und Richtung Hang in die Scheune erweitert: mit platzsparend konfigurierter Weckenstation für weiche Teige mit Zwischenstation, generalüberholtem Brezelschlinger und neuem Kneter. Alles auch über die BÄKO finanziert. 1,80 Meter tiefer, auf Straßenniveau, entstand der neue Verkaufsraum mit Ladenbackofen und Wintergarten-Café mit 26 Innen- und 12 Außenplätzen. Selbstverständlich energetisch durchkalkuliert und zur Backstube hin offen. Philipp Tiefenbach: „Die Kunden sollten riechen, schmecken und hören, was in der Backstube läuft.“ Nach dem Motto: „Einfache Dinge gut gemacht“ oder „Ehrliches Handwerk für a g`scheids Brot!“
Die Umbauten erfolgten mit viel Eigenleistung und örtlichen Handwerkern. Und besser konnte es nicht laufen: „Der Standort ist genial“, beteuert Philipp Tiefenbach im Nachhinein, „jeder, der hier über die Alb will, muss bei mir vorbei“. Durchgangsverkehr, Homeoffice, das Snack-Geschäft to-go, die Versorgung des benachbarten Seniorenwohnheims, Alb-Ausflügler, Radfahrer… . „Das Café-Geschäft hat sich an die Ladentheke verlagert. Wir haben allein dreimal so viele Leberkäs`-Weckle verkauft. Und wir haben niemanden entlassen“.
2019 wurde die Dorfbäckerei Tiefenbach auf Landesebene von Umweltminister Franz Untersteller mit dem Gipfelstürmer-Preis des „Netzwerks regionaler Kompetenzstellen Energieeffizienz (KEFF)“ ausgezeichnet. Der 1. Preis würdigt die vorbildliche energetische Optimierung des Unternehmens.
Von Anfang an auf dem älbler Land skeptisch beäugt: Der automatische Bezahl-Automat vor dem Verkaufs-Tresen. Auf der Südback 2014 wurde er als Neuerung angekündigt. Dem technikverrückten Bäckermeister schien er eine echte Alternative zu Handschuhen zu sein. Dafür musste die Theke angepasst und eigens eine Schnittstelle zur Kasse geschaffen werden. Eine schlaue Wahl: „Was früher zu Stoßzeiten zwei Mitarbeiterinnen schafften erledigt heute eine.“ Bis auf klebrige Rabattmarken futtert der Automat zusätzlich zum Geld so ziemlich alles: von Nägeln über Hosenknöpfe bis zu billigen türkischen Münzen – und spuckt sie wieder aus.
„Ich bin einer der wenigen ganz Kleinen“, bekennt Philipp Tiefenbach, „klein, authentisch und mit Herzblut.“ Und das ist gut so – hört man dabei heraus. „An mir gehen die Energiekrise und die Auswirkungen des Ukraine-Krieges völlig vorbei. Mich interessiert auch kein Diesel-Preis. Ich fahr seit 5 Jahren voll elektrisch. “
Morgens um Drei trinkt Philipp Tiefenbach in der Backstube entspannt den ersten Kaffee, ab fünf wird abgebacken, um 6:30 Uhr wird der erste Teig geknetet und für den nächsten Tag zum Ruhen ins Kühlhaus geschafft. Allein für die Teigreife wurden zwei neue, begehbare Kühlhäuser integriert. Das gesamte Brotsortiment muss – perfekt – um 8 Uhr im Laden liegen. Tiefenbach: „Ich kann nicht billiger sein als andere, ich muss besser sein.“
„Work-Life-Balance gibt`s bei mir nicht,“ lacht der Älbler, „Mir macht`s Spaß. Unsere drei Kinder werden hier in der Backstube groß“. Die „letzte Bäckerei vor dem Albabstieg“ hat sieben Tage die Woche geöffnet.
Die handwerkliche Bäckerei Tiefenbach im schwäbischen St.Johann-Würtingen ist ein 1-Mann-Back-Betrieb. Die drei gelernten Konditorinnen, die den „Hahn im Korb“ bei der Arbeit in der Backstube unterstützen, hat Tiefenbach auf Bäckereiwaren adaptiert. Funktioniert prächtig, auch wenn sich der Chef einmal im Monat ein Wochenende frei nimmt.
Selbstverständlich sind die Tiefenbachs mit ihrem Dinkel-Sortiment aus regionalen Rohstoffen bekennende „Albgemacht“-Initiatoren. Die Qualitätsoffensive im Bereich des Biosphärengebiets der Mittleren Schwäbischen Alb unterwirft sich freiwillig strengen Kriterien. Ab diesem Herbst sind auch alle Weizenbrote aus Zutaten heimischer Produzenten.
Die Bäckerei Tiefenbach verwendet ausschließlich Monowaren, eigene Vor- und Sauerteige, Butter statt Margarine und Frischmilch aus der Albgemacht-Molkerei ums Eck. Saaten, Körner und Nüsse werden selbst geröstet und gekocht. Davon ist in jedem Backstück etwas, um das Aroma zu verfeinern. Die gedämpften Kartoffeln am Stück fürs Kartoffel-Dinkelbrot stammen vom Bauern nebenan. Alle Backwaren werden nach Haus-Rezepten hergestellt – von Omas heiligem Käsekuchen über die eigene Tigerpaste für die original Albseele bis zum Reutlinger Dinkel-Kimmicher mit Bio-Alb-Kümmel aus der regionalen Manufaktur.
Noch eine kleine Dialekt-Nachhilfe: „Schrauber“ ist auf Schwäbisch ein Bastler, der handwerklich versiert alles selber macht. „Tüftler“ ist einer, der technisch in Zusammenhängen denkt. „Häspele“ ist einer, der sich wie ein kleines Windrad immer um die eigene Achse dreht und dabei ständig neue Ideen gebiert. Philipp Tiefenbach jongliert mit allen drei Bällen.
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